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Schockierende Bilder aus Butscha verschärfen Sanktionsdebatte

Von:
Reuters
Aktualisiert: Apr 4, 2022, 13:05 GMT+00:00

- von Marko Djurica und Abdelaziz Boumzar

A soldier takes a photograph of his comrade as he poses beside a destroyed Russian tank and armoured vehicles, amid Russia's invasion on Ukraine in Bucha, in Kyiv region

– von Marko Djurica und Abdelaziz Boumzar

Lwiw/Kiew (Reuters) – Nach den Berichten über mutmaßliche Gräueltaten der russischen Invasionstruppen im ukrainischen Butscha werden die Rufe nach einer Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau immer lauter.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte am Montag ebenso wie die britische Außenministerin Liz Truss härtere Strafmaßnahmen gegen Russland. Diesmal solle man auch Öl und Kohle aus Russland ins Visier nehmen, sagte Macron. Auch Japan und die Bundesregierung bekannten sich zu weiteren Maßnahmen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lehnte allerdings ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland weiter ab. Die Regierung in Moskau wies die ukrainischen Kriegsverbrechens-Vorwürfe im Zusammenhang mit getöteten Zivilisten in der Kiewer Vorstadt Butscha zurück. Es sei von der Ukraine inszeniert, um Russland zu diskreditieren, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Der UN-Sicherheitsrat sollte sich am Dienstag damit befassen.

Habeck sprach sich erneut gegen ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland aus. “Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl und Kohle und Gas”, sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Anders als andere europäische Länder hätten sich vorherige Bundesregierungen darauf verlegt, die Abhängigkeit von Russland immer größer zu machen. “Und das bauen wir jetzt alles zurück und drehen es um”, unterstrich Habeck. “Das heißt ja, dass wir mit jedem Tag daran arbeiten, die Voraussetzungen und die Schritte hin zu einem Embargo zu schaffen.” Habeck hat wiederholt ein sofortiges Embargo für Energie aus Russland mit Verweis auf die deutsche Abhängigkeit abgelehnt. Polen warf der Bundesregierung erneut eine Blockadehaltung bei härtere Strafmaßnahmen gegen Russland vor. Deutschland sei der Haupthinderungsgrund für schärfere Maßnahmen, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Warschau. Polen selbst will Ende des Jahres den Import russischen Gases stoppen.

In Butscha nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind ukrainischen Behörden zufolge während der einen Monat dauernden russischen Besatzung Hunderte Zivilisten getötet worden. Am Wochenende waren aus der Stadt Videos aufgetaucht, die zahllose getötete Menschen zeigen, die auf den Straßen liegen. Reuters-Reporter sahen einen Mann mit Kopfschuss, dessen Hände hinter dem Rücken gefesselt waren. Der stellvertretende Bürgermeister Taras Schaprawskyj sagte, dass 50 der 300 gefundenen Toten Opfer von Hinrichtungen der russischen Armee seien. Die Ukraine sprach von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und kündigte eine Untersuchung an. Reuters konnte die Opferzahlen nicht überprüfen und auch nicht feststellen, wer für die Tötungen verantwortlich ist.

Westliche Regierungen sehen die Verantwortung bei Russland, die russische Regierung weist dies zurück. Russland beantragte für Montag eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates, was von Großbritannien als Ratsvorsitzendem abgelehnt wurde. Stattdessen soll der Sicherheitsrat am Dienstag beraten. Das russische Präsidialamt wies sämtliche Vorwürfe im Zusammenhang mit getöteten Zivilisten in der Stadt Butscha kategorisch zurück. Die Fakten und der zeitliche Ablauf der Vorkommnisse entsprächen nicht der ukrainischen Darstellung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Außenminister Lawrow sprach von einer Inszenierung durch die Ukraine um Russland zu schaden. Die Bundesregierung kündigte ihrerseits an, dass sie einen Antrag der Ukraine unterstütze, dass der US-Sicherheitsrat wegen der Geschehnisse in Butscha zusammentritt.

Die Videos hatten weltweite Empörung ausgelöst. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch teilte mit, sie habe etliche Fälle von Kriegsverbrechen durch die russische Armee dokumentiert. UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte ebenso wie Kanzler Olaf Scholz eine unabhängige Untersuchung in Butscha.

Der ukrainische Präsiden Wolodymyr Selenskyj forderte am Sonntagabend bei einem Videoauftritt bei der Grammy-Verleihung in Las Vegas seinem Land “auf jede erdenkliche Weise” zu helfen. “Was ist ein größerer Gegensatz zur Musik? Das Schweigen von zerstörten Städten und getöteten Menschen”, sagte Selenskyj in dem Video, das John Legends “Free” einleitete und in dem ukrainische Musiker und eine Lesung einer ukrainischen Dichterin sehen waren.

KÄMPFE UM MARIUPOL

Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums wird die Stadt Mariupol weiterhin intensiv und wahllos angegriffen. Die ukrainischen Streitkräfte leisteten jedoch hartnäckigen Widerstand und behielten die Kontrolle über die zentralen Bereiche. In der vergangenen Wochen war es gelungen, einige tausend Zivilisten aus der durch russische Angriffe bereits stark zerstörten Stadt zu evakuieren.

Explosionen wurden am frühen Montag auch aus den Städten Odessa und Cherson gemeldet. Sirenen, die vor russischen Luftangriffen warnten, waren überall im Osten der Ukraine zu hören. Aus den nördlichen Regionen Sumy und Tschernihiw berichteten die Behörden von einem russischen Abzug. Die Ukraine bereitet sich allerdings auf einen massiven russischen Angriff im Osten des Landes vor. Die russische Regierung hatte nach einem Strategiewechsel angekündigt, die Gebiete des Donbass erobern zu wollen, die bisher noch nicht unter der Kontrolle der prorussischen Separatisten stehen. Diese kontrollieren Teile der rohstoffreichen Ostukraine seit 2014.

Die Ukraine und westliche Länder sprechen von einem russischen Angriffskrieg und einer Invasion, die am 24. Februar begonnen hat. Russland hatte sein Vorgehen in der Ukraine dagegen zunächst als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte bezeichnet. Nun wird als Hauptziel die Eroberung der Ostukraine genannt. In dem Krieg sollen nach Angaben der Ukraine und westlicher Sicherheitskreise bereits mehrere Zehntausend Menschen gestorben sein. Mehr als vier Millionen Menschen sind dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge inzwischen aus der Ukraine geflohen.

Von den bislang aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen sind 84 Prozent Frauen, wie aus einer Umfrage des Bundesinnenministeriums hervorgeht. 58 Prozent sind demnach zusammen mit ihren Kindern vor der russischen Invasion geflohen.

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