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Wirtschaftsmotor läuft langsamer – Materialknappheit “Sand im Getriebe”

Von:
Reuters
Aktualisiert: Oct 30, 2021, 16:38 UTC

Berlin (Reuters) - Angesichts von Lieferengpässen hat die deutsche Wirtschaft im Sommer überraschend an Fahrt verloren.

Sonnenuntergang hinter dem Reiterstandbild Friedrichs des Großen auf dem

– von Reinhard Becker

Berlin (Reuters) – Lieferengpässe bremsen die Erholung der deutschen Wirtschaft nach der Corona-Krise weit stärker als gedacht.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Juli bis September nur um 1,8 Prozent zum Vorquartal zu. Die vom Statistischen Bundesamt am Freitag veröffentlichte Schnellschätzung blieb damit weit unter den Erwartungen der von Reuters befragten Ökonomen zurück. Sie hatten 2,2 Prozent auf dem Zettel, nach einem Plus von 1,9 Prozent im Frühjahr. Die Industrienation Deutschland bekommt die pandemiebedingten Materialengpässe und Lieferkettenprobleme stärker zu spüren als der Euroraum insgesamt, der sein Wachstum im Sommer sogar leicht auf 2,2 Prozent erhöhte.

Die Eurozone habe vom starken Comeback der Dienstleistungsbranchen profitiert, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Doch bald drohe Gegenwind, warnt Chefökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe: “Die Materialmisere wird die Konjunktur im Euroraum im Winterhalbjahr stärker bremsen.”

In Frankreich und Italien legte die Wirtschaft im Sommer um 3,0 beziehungsweise 2,6 Prozent zu und damit ebenfalls weit stärker als hierzulande. Während die französische Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau faktisch wieder erreicht habe, werde es Italien aller Wahrscheinlichkeit erst Anfang 2022 gelingen: “Genau wie Deutschland”, prognostiziert DWS-Ökonom Martin Moryson.

Insbesondere die Verbraucher stützten laut den Wiesbadener Statistikern mit ihren Ausgaben die deutsche Konjunktur im Sommerquartal. Doch die Lieferengpässe lasten auf dem Wachstum. Im Zuge der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Corona-Krise sind Halbleiter zur Mangelware geworden, was insbesondere der Autobranche zusetzt. Volkswagen senkte deshalb seine Absatz- und Umsatzerwartungen für das laufende Jahr. In der Industrie und am Bau stockt vielerorts auch der Nachschub bei Holz und Stahl.

Das Münchner Ifo-Institut schätzt die bislang durch die Engpässe ausgelösten Wertschöpfungsverluste in der hiesigen Industrie auf knapp 40 Milliarden Euro. “Das ist gut ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr”, erläuterte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Dieser “Sand im Getriebe der deutschen Wirtschaft” hemme auch die Konjunktur. Für das vierte Quartal rechnen die Münchner Forscher nur noch mit einem mageren Wachstum von 0,5 Prozent.

HOFFNUNGSJAHR 2022

Auch andere Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognosen bereits gesenkt und rechnen damit, dass sich der Aufschwung stärker ins nächste Jahr verlagert. Auch der scheidende Wirtschaftsminister Peter Altmaier kappte jüngst die Schätzung für 2021 deutlich auf 2,6 Prozent. Dafür rechnet die Regierung für nächstes Jahr nun mit einem kräftigeren Wachstum von 4,1 Prozent.

Die extrem hohen Auftragspolster dürften dann für kräftigen Auftrieb sorgen, sobald die Produktion wieder ungehinderter laufen könne, meint Stefan Kooths – Konjunkturchef des IfW Kiel. Zugleich habe sich bei den privaten Haushalten während der Pandemiezeit Kaufkraft von rund 200 Milliarden Euro aufgestaut. “Für die Wirtschaftspolitik ist damit die Botschaft klar: Es bedarf keiner konjunkturstimulierenden Maßnahmen. Diese würden nur die ohnehin starke Preisentwicklung weiter anheizen”, so der Experte.

Die Preise waren hierzulande im Oktober um durchschnittlich 4,5 Prozent gestiegen, der höchste Stand seit 28 Jahren. Im Euroraum kletterte die Inflationsrate auf 4,1 Prozent. Im September waren es noch 3,4 Prozent: “Ein gewaltiger Anstieg”, meint Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank und fügt an: “Die Teuerungsentwicklung dürfte der Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, doch Sorgen bereiten, obwohl sie sich am Donnerstag an der EZB-Medienkonferenz recht gelassen gezeigt hatte.” Die Inflationsraten würden noch höhere Gefilde erklimmen: “Die EZB wird im Dezember mit neuen geldpolitischen Beschlüssen von sich hören lassen. Das Notfall-Pandemieankaufprogramm dürfte im März eingestellt werden”, sagte Gitzel.

Mit den Anleihekäufen im großen Stil versucht die Europäische Zentralbank, die pandemiegeschädigt Wirtschaft im Euroraum zu stützen und für ein günstiges Finanzierungsumfeld zu sorgen. Für Inflationspanik besteht laut Bank-Ökonom Krüger einstweilen kein Anlass: “Die EZB dürfte die Wirtschaft trotz der hohen Inflationsrate weiter mit aller Kraft unterstützen.”

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